Exklusiver Reisebericht: Mit dem Solex von Bern nach Paris

Ein Traum wird wahr! Mit dem Velo-Solex von Münsingen bei Bern zum Eiffelturm in Paris
Autorin:  Katrin Lienhart

Angefangen hatte alles mit einer etwas verrückten Idee: Thomas aus Münsingen träumte davon, in einer kleinen Gruppe mit alten Velo-Solex nach Paris zum Eiffelturm zu fahren! In Solex-Kreisen fand er Gleichgesinnte: Ernst „Aschi“ aus Hettiswil sowie Monika und Hansueli aus Bolligen. Auf Umwegen stiessen dann noch Katrin und Noldi aus dem aargauischen Rekingen dazu, die vorher noch nie auf einem Solex gesessen waren!

Ein besonderer Glücksfall war, dass Hansueli ein stilgerechtes Oldtimer-Begleitfahrzeug hatte: Er stellte seinen kultigen und bestens in Schuss gehaltenen Citroën HY namens „Tathy“ für die Reise zur Verfügung. Dank ausgeklügeltem Beladungskonzept konnte das rot-weisse „Wellblech-Büssli“ mit seinem kleinen Anhänger nicht nur alles Gepäck samt Werkzeug und beachtlichem Ersatzteillager transportieren, sondern nötigenfalls auch noch die sechs Solex und alle Reiseteilnehmer*innen aufnehmen.

Pannen und Navigationsprobleme . . .

Nach einigen Vorbesprechungen, nächtelangem Planen der Route und Suchen von Unterkünften ging es dann am Montag, 11.09.2023, endlich los: Unter grosser Anteilnahme von Verwandtschaft und Bekanntschaft wurde in Münsingen gestartet. Aber bereits nach wenigen Kilometern, zwischen Worb und Boll, gab das erste Solex den Geist auf – Frust pur! Das „Tathy“ musste her, damit Hansuelis Ersatz-Solex aus- und das defekte Solex eingeladen werden konnte. Dem Neuenburgersee entlang zeigte sich dann, dass Google-Maps nicht immer der Realität entspricht, und es kam zu einer kleinen Irrfahrt. Es sollte nicht die einzige auf dieser Reise bleiben!

Am ersten Etappenziel, beim «Hotel Restaurant De La Truite » in Champ du Moulin Dessous, unternahmen die begnadeten Solex-Mechaniker Thomas und Aschi dann gleich die ersten Reparaturversuche; leider vorerst erfolglos. Erst am nächsten Morgen wurde bemerkt, dass der Sitz für die Rückschlagkugel bei der Benzinpumpe nicht korrekt montiert war. Nach Behebung dieses Problems lief das „Pfupferli“ wieder und war bereit für neue Abenteuer.

Und die kamen dann auch prompt: Kurz nach dem Start gab es erneut Navigationsprobleme, und die munteren Solexler fanden sich in der lauschigen Areuse-Schlucht unverhofft auf einem stotzigen Wanderweg wieder. Entgegenkommende Fussgänger reagierten zum Glück durchwegs freundlich und wohlwollend, zuweilen auch mit ungläubigem Staunen, auf die knatternden Velo-Solex, und es gab einige lustige Gespräche.

. . . aber beste Stimmung und tolle Unterkünfte

Es verging wirklich kaum ein Tag ohne Pannen: Zündprobleme, mehrere lose oder verlorene Schrauben und Muttern (ab vibriert!), Plattfuss, herausgesprungene Kette, streikende Motoren, aber auch „Benzinpannen“ (= leerer Tank!) sorgten dafür, dass keine Langeweile aufkam. Regelmässig musste Hansueli mit seinem „Entpannungsfahrzeug“ aus der Patsche helfen. Mit stoischer Ruhe (oder bernischer Gemütlichkeit?), stets guter Laune und sehr viel Kreativität reparierten Aschi und Thomas, oft unter Mithilfe von Noldi und Hansueli, die alten Töffli immer wieder. Manchmal wurde direkt an der Strasse geschraubt, manchmal auch erst am Abend oder frühen Morgen bei der Unterkunft. Selbst ein Regentag konnte die gute Stimmung nicht trüben: Da wurden die sechs Solex kurzerhand verladen und der ganze Trupp legte die Etappe von Chapelle-d’Huin nach Toulouse-le-Château im Citroën HY zurück. So blieb genügend Zeit für eine Besichtigung der „Source du Lison“ inkl. eindrücklicher Grotte. Am Abend klang der solexfreie Tag bei einem kühlen Bier im Hallenbad der Unterkunft «D’Tour Gourmand» aus; einem gemütlichen Haus mit viel Charme, verwinkelten Treppen und versteckten Zimmern.

Überhaupt trugen die tollen Unterkünfte, die Monika ausgesucht hatte, viel zur guten Stimmung bei. So u.a. die «Domaine de la Corgette» in Saint-Romain, ein Weingut mit Hallenbad im Gewölbekeller; «Les Epis d’Or» in L’Isle-sur-Serein, die wohl originellste Unterkunft der ganzen Reise mit sehr liebenswürdigen Gastgebern, die ihre Gäste persönlich bekochen und in ihrem Beizli bewirten; das alte, etwas heruntergekommene aber nach wie vor stilvolle Landgut «Domaine de Sainte Anne» in Venoy; die «Chambres d’hôtes Vue sur la Muraille de Sens» in Sens mit lauschigem Garten samt vielen tierischen Mitbewohnern oder das unscheinbare «Maison d’Emilie» in Chaumes-en-Brie, hinter dessen Mauern sich ebenfalls ein schöner Innenhof mit Garten versteckt. 

Paris, nous venons!

Nach neun ereignisreichen Tagen mit oft wundervollen, teilweise aber auch schwierigen Etappen (Radstrecken gleichen in Frankreich manchmal eher einem Bachbett als einem Veloweg!), erreichte die Solex-Gruppe am Dienstag, 19.09.23, vollzählig die letzte Unterkunft, die gleich für mehrere Tage gemietet wurde: eine Airbnb Wohnung in Juvisy-sur-Orge, direkt an der Seine. Im abschliessbaren Hof konnten die Solex und das „Tathy“ sicher geparkt werden. Und dann hiess es: nur noch einmal schlafen bis Paris! 

Am nächsten Morgen wurden die letzten rund 30 km bis ins Zentrum der französischen Hauptstadt unter die Solex-Räder genommen. Der HY blieb in Juvisy. Die stellenweise sehr schlechten Strassen und der immer dichter werdende Verkehr verlangten Mensch und Maschine nochmals alles ab. Einmal mehr konnte man nur staunen, was die alten „Pfupferlis“ alles aushalten!

Dann der langersehnte, grosse Moment: Hansueli, Monika, Aschi, Thomas, Noldi und Katrin standen überglücklich und auch ein bisschen stolz mit ihren Solex vor dem Eiffelturm! Was für ein wunderbares Gefühl! – Anschliessend gab es dann auch in Paris, wie könnte es anders sein, noch die eine oder andere Widrigkeit: Mit ihren gelben Solex-Westen lösten die sechs Eidgenossen nicht überall eitel Freude aus (Mouvement des „Gilets jaunes“ . . .), auf dem Eiffelturm streikte der Lift, weshalb der Champagner zur Feier des Tages statt auf der obersten, dritten Plattform auf der zweiten getrunken werden musste, und in der ganzen Stadt wimmelte es von Polizisten, weil gleichzeitig noch King Charles und Camilla in Paris waren. – Aber letztendlich machen wohl genau solche Überraschungen das Salz in der Suppe, bzw. den Pfeffer in der Solex-Reise aus!

Auf jeden Fall liessen es sich die wackeren Solex-Fahrer*innen nicht nehmen, nach dem Besuch des Eiffelturms noch mehrmals um den Arc de Triomphe zu kurven und die Champs-Élyseées rauf und runter zu fahren, und zwar unter Beobachtung von sehr vielen Polizisten und Passanten. Ob diese wegen Charles und Camilla oder wegen der coolen Töffli-Gruppe aus der Schweiz vor Ort waren, lässt sich nicht so genau sagen. – Was für ein schöner Abschluss einer tollen, einmaligen und unvergesslichen Reise!

….der Weg nach Hause

Um den Solex die Herausforderung einer Rückfahrt von Paris zu ersparen, wurden unsere Pfupferli wie geplant in den Anhänger von Tathy verladen. Monika und Hansueli nahmen die Rückfahrt unter die Räder, während die restliche Crew mit dem TGV in rasantem Tempo in den Alltag zurückbefördert wurden.

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